Veröffentlicht am: 12.01.24
• 2021: Imlifidase ist erste bakterielle Protease zur Desensibilisierung bei Nierentransplantation
Die ältesten Wirkstoffe in der Indikationsgruppe der Immunsuppressiva sind das Methotrexat (1947) (Seeger et al. 1947) und das Azathioprin (1957). Beide Arzneimittel wurden nicht primär als Immunsuppressiva entwickelt, sondern als sogenannte Antimetaboliten zur Anwendung in der Krebstherapie. Die Antimetaboliten fungieren im Organismus als „fasche Bausteine“ und stören oder hemmen bestimmte physiologische Prozesse. Eine Publikation aus dem Jahr 1962 zu einer klinischen Studie über die Anwendung von Methotrexat bei Psoriasis und rheumatoider Arthritis (O’Brien et al. 1962) wird von Kersley (1968) zitiert. Azathioprin wurde bereits in den 1960er-Jahren als Mittel zur Immunsuppression bei Organtransplantationen eingesetzt (z. B. Starzl et al. 1964). Hinweise auf den Einsatz von Azathioprin bei immunologischen Erkrankungen, wie z. B. chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen, finden sich seit den 1970er-Jahren (z. B. Gray 1973).
Erfolgreiche Transplantationen wären ohne Immunsuppression zur Vermeidung einer Transplantatabstoßung überhaupt nicht möglich. Letztlich hat auch die Verfügbarkeit von Azathioprin dazu beigetragen, dass Organtransplantationen heute beinahe Routine geworden sind. Azathioprin wird auch heute noch als Immunsuppressivum eingesetzt – nicht nur bei Transplantationen. Neben Azathioprin gehören heute weitere immunsuppressive Wirkstoffe zum Standard in der Transplantationsmedizin. Von großer Bedeutung ist das 1983 eingeführte Ciclosporin, das selektiv die Aktivierung der an der Abstoßungsreaktion beteiligten T Lymphozyten hemmt, während Azathioprin die Bildung aller Leukozyten im Knochenmark unterdrückt. Weitere Standardwirkstoffe sind das 1995 eingeführte Tacrolimus und das seit 1996 verfügbare Mycophenolatmofetil (bzw. Mycophenolsäure).
Die Grundlagenforschung insbesondere in den 1980er- und 1990er-Jahren hat dazu geführt, dass immunologische Prozesse immer besser verstanden werden. Es konnten daher Arzneimittel entwickelt werden, die sehr gezielt bestimmte Prozesse beeinflussen.
Einer der wichtigsten Meilensteine in der Entwicklung der Immunsuppressiva war die Einführung von Infliximab, dem ersten TNF-alpha-Blocker zur Therapie der rheumatoiden Arthritis und weiteren immunologischen Erkrankungen im Jahr 1999. Die Anwendung von TNF-alpha-Blockern und anderen immunsuppressiven Biologika ist mittlerweile Standard in der Behandlung der rheumatoiden Arthritis. Empfohlen werden die Wirkstoffe in der Regel als Zweitlinientherapie nach Versagen klassischer krankheitsmodifizierender Arzneimittel, wie z. B. Methotrexat (Fiehn et al. 2018). TNF-alpha-Blocker werden auch bei Psoriasis eingesetzt.
Mit Ustekinumab steht seit 2009 ein Wirkstoff zur Verfügung, der speziell für die Anwendung bei Psoriasis zugelassen ist und sich gegen bestimmte Interleukine richtet. Das Prinzip der Interleukinhemmung wird auch bei der rheumatoiden Arthritis eingesetzt.
Ein wichtiger Beitrag zur Behandlung hochaktiver Formen der schubförmig verlaufenden MS ist der Antikörper Natalizumab, der seit 2006 zur Verfügung steht. 2011 kam mit Fingolimod ein erstes spezifisch wirkendes Arzneimittel zur oralen Anwendung bei der MS auf den Markt. Fingolimod begründete die Gruppe der S1P-Rezeptormodulatoren, die bewirken, dass mehr Lymphozyen in den Lymphknoten zurückgehalten werden und dadurch weniger von ihnen in das ZNS gelangen.
Das Thalidomid kam in Deutschland in den späten 1950er-Jahren als Schlafmittel auf den Markt und erlangte bald traurige Berühmtheit durch den Contergan-Skandal. Bis 2009 war Thalidomid in Deutschland nicht mehr verfügbar. In den 1960er-Jahren wurde seine Wirksamkeit bei Lepra entdeckt. Thalidomid wird heute mit seinen Analoga Lenalidomid und Pomalidomid zu den IMiDen (immunmodulatorischen Wirkstoffen) gezählt. Durch ihren einzigartigen Wirkmechanismus (Bindung an das Protein Cereblon, wodurch ein Abbau der Transkriptionsfaktoren Ikaros und Aiolos bewirkt wird) wirken sie spezifisch hemmend auf das Wachstum von Multiplen Myelomen. Über diese primäre Wirkung werden aber auch zahlreiche weitere Effekte vermittelt, wie z. B. die entzündungshemmende Wirkung oder teratogene Effekte.
2017 wurden die ersten JAK-Inhibitoren zur Therapie der rheumatoiden Arthritis eingeführt. Sie wirken durch Hemmung von Januskinasen den durch Zytokine vermittelten Entzündungsprozessen entgegen.
Seit 2021 steht mit Imlifidase ein Enzym zur Verfügung, das bei Desensibilisierung bei Nierentransplantation eingesetzt wird, d. h. bei Patienten mit spenderspezifischen Antikörpern. Bei dieser Konstellation könnte es zu einer akuten, durch Antikörper vermittelten Abstoßungsreaktion kommen. Imlifidase ist eine biotechnologische hergestellte Protease des Bakteriums Streptococcus pyogenes und baut sehr spezifisch Immunglobulin-G-Antikörper ab. Dadurch kann bei Patienten mit spenderspezifischen Antikörpern dennoch eine Transplantation durchgeführt werden.
Darüber hinaus wurden viele weitere Wirkstoffe entwickelt, die erstmals eine spezifischere Therapie verschiedener Erkrankungen erlaubte. Hier ist u. a. das Eculizumab zu nennen, der erste Komplement-C5-Inhibitor zur Therapie der PNH (paroxysmale nächtliche Hämoglobinurie), aber auch der Myasthenia gravis. Erwähnenswert sind außerdem das 2011 eingeführte Belimumab, das zusätzlich zur Standardtherapie bei systemischem Lupus erythematodes mit hoher Krankheitsaktivität gegeben wird, das ebenfalls 2011 eingeführte Pirfenidon zur Therapie bei idiopathischer Lungenfibrose und das 2014 eingeführte Siltuximab zur Behandlung der seltenen multizentrischen Castleman-Krankheit. Auch das seit 2018 verfügbare Ocrelizumab ist hier einzuordnen, da mit ihm erstmals ein krankheitsmodifizierender Wirkstoff zur Anwendung bei primär progredienter Multipler Sklerose verfügbar ist.